Der Währungsexperte der Schweizer Privatbank Union Bancaire Privée erwartet einen noch schwächeren Dollar, hält wenig von negativen Zinsen und nutzt die niedrige Volatilität am Markt.
Peter Kinsella sagt zum steigenden Goldpreis:
«Gold verhält sich genauso, wie man es in dieser Situation erwarten würde.»
In Kürze:
- Der Dollar befindet sich in einem längerfristigen Abwärtstrend gegenüber wichtigen Währungen.
- Die SNB verzichtet trotz starkem Franken voraussichtlich auf aggressive Negativzinsen.
- Negativzinsen haben kaum Einfluss auf den Wechselkurs des Frankens.
- Der Euro sowie der australische Dollar weisen das beste Kurspotenzial auf.
In den vergangenen Wochen hat sich der Dollar gegenüber den wichtigsten Konkurrenzwährungen leicht aufgewertet. Und das trotz Regierungs-Shutdown und ungebremstem Schuldenkurs in den USA. In Europa bröckelt die finanzielle Solidität Frankreichs, der zweitwichtigsten Volkswirtschaft, die hinter dem Euro steht. Die Gemeinschaftswährung notiert gleichwohl stabil. Auch gegenüber dem Franken, der sich gegenüber anderen Valuten stark aufwertet. Peter Kinsella, langjähriger Chef-Währungsstratege der Genfer Privatbank UBP, erläutert die Trends am Weltdevisenmarkt und zeigt Opportunitäten auf.
Herr Kinsella, wie gefährlich ist der Shutdown der US-Regierung für den Dollar?
Für den Markt ist das kein Ereignis. Es wiederholt sich nur ein bekanntes «Chicken Game»: Zwei politische Parteien, die sich gegenseitig herausfordern und herauszufinden versuchen, wer zuerst blinzelt oder springt. Normalerweise dauert das wenige Wochen.
Wie schätzen Sie die Aussichten für den Dollar ein?
In den kommenden ein, zwei Monaten dürfte sich der Kurs seitwärts bewegen, denn die externen Daten fallen eher gemischt aus. Aber der längerfristige Abwertungstrend befindet sich, wenn man es mit Baseball vergleicht, gerade erst im dritten Inning – von neun. Es wird also auf lange Sicht noch viel mehr Abwertung kommen.
Weshalb wird der Dollar immer schwächer?
Wenn man sich die Inflationsunterschiede zwischen den Vereinigten Staaten und China in den vergangenen fünf Jahren ansieht, liegt die kumulierte Teuerung in den USA bei etwa 25%, während sie in China im Grunde genommen bei null liegt. Das bedeutet, dass die USA allein schon deshalb eine starke Abwertung des Dollars benötigen. Ich vermute, dass die Regierung hinter den Kulissen grossen Druck auf andere Nationen ausüben wird, damit sich deren Währungen gegenüber dem Dollar aufwerten.
«Die US-Regierung dürfte hinter den Kulissen grossen Druck auf andere Nationen ausüben, damit sich deren Währungen gegenüber dem Dollar aufwerten.»
Sehen Sie Anzeichen für Druckversuche der US-Regierung?
Das US-Schatzamt hat kürzlich mit Japan und nun mit der Schweiz eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, in denen sich die Währungshüter ausdrücklich verpflichten, nicht am Devisenmarkt zu intervenieren, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Die SNB hat das nie getan, sondern lediglich am Markt eingegriffen, um die Deflationsgefahr zu verringern. Das ist ein wichtiger Unterschied. Aber das diplomatische Vorgehen der USA zeigt, dass wir uns in einem neuen Abschnitt eines umfassenderen Abwertungstrends des Dollars befinden.
Wie wird sich der Dollar gegenüber dem Franken entwickeln?
Kommendes Jahr wird ein Dollar nur noch 0.77 Franken kosten. Und es gibt ein Abwärtsrisiko bis auf ein Niveau von 0.75 oder sogar 0.73 CHF/USD.
Erwarten Sie, dass die Schweizerische Nationalbank Negativzinsen einführt?
Die SNB geht davon aus, dass die Inflation in den kommenden Jahren stabil bleibt. Das verringert die Wahrscheinlichkeit, dass sie aggressive Negativzinsen einführt. Auch die Europäische Zentralbank macht nicht den Eindruck, dass sie willens ist, die Zinsen erneut aggressiv zu senken. Das verringert die Dringlichkeit für die SNB zusätzlich. Da die SNB gleichzeitig nicht am Devisenmarkt intervenieren kann, solange die Handelsgespräche mit den USA andauern, dürfte der Franken stark bleiben.
Der Franken notiert gegenüber dem Euro stabil, wertet sich aber gegenüber dem Dollar kräftig auf. Wie wichtig ist der Dollar für die geldpolitischen Entscheide der SNB?
Er ist es nicht. Sicher beobachtet die SNB den Dollar, aber der Franken-Euro-Kurs ist viel wichtiger. Insgesamt ist die SNB wahrscheinlich recht zufrieden mit dem Wechselkurs von aktuell 0.93 CHF/EUR. Sollte er sich 0.90 CHF/EUR nähern, wird sie wahrscheinlich etwas aggressiver in ihren verbalen Interventionen werden. Aber das Schweizer Wirtschaftswachstum dieses Jahr ist mit rund 1,5% in Ordnung. Für nächstes Jahr erwartet die SNB 1%. Sollte die Schweiz mit den USA handelspolitisch aneinandergeraten, dürfte sich der Franken aufwerten. Aber bei ordentlichem Wirtschaftswachstum und einer leicht positiven Inflation glaube ich nicht, dass die SNB in den Wechselkurs eingreifen muss.
Die SNB könnte allerdings den Franken über negative Zinsen schwächen.
Die Terminsätze des zweijährigen Saron-Swaps haben etwa 0,1 Prozentpunkte negative Einlagenzinsen eingepreist. Ich erwarte nicht, dass es dazu kommt, aber sollte die SNB Negativzinsen einführen, dann wohl nur minimal, etwa von –0,1%.
«In den letzten zehn Jahren hatten wir trotz Negativzinsen der SNB de facto keine negativen Einlagenzinsen der Banken.»
Sind Negativzinsen ein wesentliches Instrument gegen eine Frankenaufwertung?
Nein, überhaupt nicht. In den letzten zehn Jahren hatten wir trotz Negativzinsen der SNB de facto keine negativen Einlagenzinsen der Banken. Das Bankensystem hat die Einbussen für die Rentabilität selbst getragen. Die Kosten wurden weder an Privatkunden noch an Firmenkunden weitergegeben. Das bedeutet im Grunde genommen, dass die SNB-Massnahme keine abschreckende Wirkung auf den Wechselkurs hatte.
Aber die SNB begründet die Einführung von Negativzinsen damit, dass sie damit den Franken vor einer Aufwertung schützt, weil der Zufluss von Kapital abgebremst und der Abfluss forciert wird.
Nur ist das einfach nicht passiert. Die Schweizer Leistungsbilanz blieb während des gesamten Zeitraums mit Negativzinsen in sehr guter Verfassung. Die ausländischen Direktinvestitionen waren in Ordnung. Die Negativzinsen hatten nicht die beabsichtigte Wirkung. Sie hatten nur eine marginale Wirkung, aber die Daten der Einlagenentwicklung von Banken deuten nicht darauf hin. Die Negativzinsen scheinen Anleger nicht wirklich abgeschreckt zu haben. Das grösste Hindernis für ausländische Investoren, die in den Franken gehen wollen, liegt woanders.
Worin besteht die Hürde für ausländische Anleger?
Es mangelt an investierbaren Vermögenswerten, die auf Franken lauten. Der Anleihenmarkt ist klein, ebenso die lokale Börse. Die Auswahl an tatsächlichen Kaufmöglichkeiten ist begrenzt. Das ist ein wichtiger Faktor, der umfassende Investitionsschübe aus dem Ausland in den Franken einschränkt.
Aber während der Eurokrise gab es einen umfangreichen Kapitalzufluss, der hauptsächlich auf Treuhandkonten floss.
Während der Eurokrise wollten die Leute einfach nur aus dem Euro raus und dafür Franken besitzen, als Safe Haven. Aber sobald die akute Phase des Risikos oder besser der Risikowahrnehmung vorüber ist, beginnt die Suche nach Anlagemöglichkeiten. Die Auswahl an Kaufmöglichkeiten ist in der Schweiz begrenzt. Der Aktienmarkt ist klein. Allenfalls kann man Immobilien erwerben.
«Die Auswahl an Kaufmöglichkeiten ist in der Schweiz begrenzt.»
Wie beeinflusst der Goldpreis den Dollar?
Ich würde eher sagen, dass der Dollar den Goldpreis beeinflusst. Gold hat ein Niveau von 4000 USD pro Unze erreicht. Das entspricht einem Anstieg von rund 50% seit Jahresbeginn. Seit 2020 beträgt die Rendite etwa 140%. Gründe dafür gibt es verschiedene: Vor allem die unverantwortliche Fiskal- und Verschuldungspolitik, die in den USA, Grossbritannien und der Eurozone betrieben wird. Die Schuldenquote ist zu hoch. Dazu kommen geopolitische Faktoren, Sorgen über die Unabhängigkeit der Zentralbanken. Gold verhält sich genauso, wie man es in dieser Situation erwarten würde. Deshalb habe ich die Goldprognose angehoben: auf 4600 USD bis Ende 2026.
Welche Währung bietet in den kommenden sechs bis zwölf Monaten das beste Kurspotenzial?
Der Euro sieht gut aus. Auch der australische Dollar dürfte noch deutlich höher handeln. Er profitiert vom besseren Wirtschaftswachstum in Australien, und jede Kurserholung bei Rohstoffen kommt erfahrungsgemäss dem australischen Dollar zugute.
Wo sehen Sie Gefahrenpotenzial, abgesehen vom Dollar?
Beim britischen Pfund nimmt das Risiko zu. Im Mittelpunkt steht der britische Haushaltsplan, der im November verabschiedet werden muss. Wenn es der Regierung nicht gelingt, die öffentlichen Ausgaben zu kontrollieren, könnte das Pfund Einbussen erleiden, mehr gegenüber dem Euro und dem Franken als gegenüber dem Dollar.
«Volatilität und Risiko sind nicht dasselbe.»
Warum ist die Volatilität an den Märkten gesunken?
Sie ist extrem niedrig, und dafür gibt es verschiedene Gründe: Die Angst vor massiven Zollerhöhungen und einer hohen US-Inflation ist abgeflaut. In China haben sich das Wirtschaftswachstum und auch der Immobilienmarkt stabilisiert, und die Regierung hat zu einer etwas marktfreundlicheren Politik gewechselt. Aber Volatilität und Risiko sind nicht dasselbe.
Wo liegt der Unterschied zum Risiko?
Die Volatilität misst Preisbewegungen. Risiko ist eine Reihe potenzieller Ergebnisse, die Märkte zu bewerten versuchen, ergänzt um ein Element der Unsicherheit. Wenn man darüber nachdenkt, was in den letzten Jahren den grössten Einfluss auf die Portfolios hatte, dann war es Unsicherheit und nicht das Risiko: die Covid-Pandemie, der Inflationsschub 2022, etc.
Wie kann man die niedrige Volatilität nutzen?
Sie hat zur Folge, dass Absicherungen günstig geworden sind. Deshalb lohnt es sich, Phasen mit geringer Volatilität zu nutzen, um Schutz für Portfolios, insbesondere für die Aktienkomponente, zu kaufen. Man bleibt investiert, ist aber vor aggressiven Kursrückgängen geschützt.
Wie sollten Unternehmen ihre Fremdwährungsverbindlichkeiten absichern?
Unternehmen, die ihre Einnahmen in Franken oder Euro und ihre Kosten in Dollar haben, benötigen meiner Meinung nach keine Absicherung, da sie von der Schwäche des Dollars profitieren. Das Gegenteil trifft jedoch auch zu. Wenn Sie Ihre Einnahmen nicht in Dollar und ihre Kosten anderswo haben, müssen Sie sich natürlich über Absicherungsstrategien Gedanken machen. Grosse Unternehmen sind erfahrungsgemäss ziemlich gut im Hedging. KMU können sich noch verbessern.
Die hier am 9. Oktober 2025 ausgedrückten Beurteilungen gelten zu diesem Zeitpunkt als richtig, können aber ohne Vorankündigung Änderungen erfahren. Jegliche Prognosen, Schätzungen oder Zielvorgaben sind lediglich Richtwerte und werden in keiner Weise garantiert.